Etappe 2: Oy-Mittelberg – Rettenberg

Die zweite Etappe meiner 3-tägigen Erkundungstour auf der Wandertrilogie war wohl die, die mich am meisten überrascht hat. Kein exponierter Gipfel wie die Alpspitze am Vortag oder der Grünten am nächsten Tag liegen auf dem Weg zwischen Oy-Mittelberg und Rettenberg.

  • Fräulein Draußen

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Die zweite Etappe meiner 3-tägigen Erkundungstour auf der Wandertrilogie war wohl die, die mich am meisten überrascht hat. Kein exponierter Gipfel wie die Alpspitze am Vortag oder der Grünten am nächsten Tag liegen auf dem Weg zwischen Oy-Mittelberg und Rettenberg. Da sind nur ein paar vermeintlich unspektakuläre Höhenzüge, über die die Wasserläufer-Route rund 26 Kilometer lang führt. Nichts Halbes, nichts Ganzes? Vielleicht. Dafür von so ziemlich allem ein bisschen, und somit ziemlich abwechslungsreich - und ziemlich schön.

Der Tag beginnt aber mit einer Überraschung der anderen Art: Kurz oberhalb von Mittelberg stoße ich auf eine seltsam große Holzbank. So groß, dass man gar nicht mehr darauf sitzen kann (weil man nicht hoch kommt), und laut Hinweisschild auch nicht drauf sitzen darf. Schade eigentlich, weil die Aussicht von dort oben auf die Alpen und das Umland bestimmt noch ein bisschen besser wäre, als sie es sowieso schon ist. Sechs Meter hoch, zwölf Meter lang, 13 Tonnen schwer, und damit scheinbar die offiziell größte Wanderbank in Deutschland. Im Sommer 2015 wurde sie am Mittelberger Panoramaweg erbaut. Und auch wenn sie als Sitzgelegenheit unbrauchbar ist (als Fotoobjekt dafür aber umso mehr), ist ihre Botschaft klar: „Das Wandern ist im Allgäu eine Riesensache.“

Von der Bank aus geht es auf gut ausgebauten Wegen entlang des Panoramawegs, vorbei an einem Fernglas, welches die Berggipfel der Alpen ganz nah heranholt, und praktischerweise gleich noch benennt. Wenig später wandere ich direkt über grüne Almwiesen, vorbei an freundlich guckenden Kühen und einem betagten Bauern, der die Wiese tatsächlich noch mit einer Handsense mäht. Ich fühle mich spontan fast etwas fehl am Platz in meiner hochfunktionalen Wanderausrüstung und mit der modernen Kamera in der Hand, freue mich aber über die kleine Zeitreise, die man so selbst im Allgäu nicht mehr überall unternehmen kann.

Mit einem Gipfelkreuz hatte ich auf dieser Etappe nicht gerechnet. Aber da steht es, auf dem immerhin 1.150 Meter hohen Burgkranzegger Horn. Eine Wandergruppe tummelt sich rundherum und genießt die Sonne, die an diesem Tag mit aller Kraft scheint und für perfektes Sommerwanderwetter sorgt. Nach der Regenetappe vom Vortag weiß ich das gleich doppelt zu schätzen. Um die verwurzelten Pfade auf der anderen Seite des „Gipfels“ zu trocknen hat es noch nicht gereicht, und so bin ich extra vorsichtig auf dem zu Beginn steilen Abstieg in Richtung Rottachsee. Am größten See des Allgäus mache ich das, wozu mir am Vortag nicht war: Schuhe aus, Socken aus, und mit den Füßen ins kühle Wasser. Es gibt einfach nichts besseres an diesen langen Wandertagen im Sommer. Mal abgesehen davon, dass es im Anschluss besonders schwer fällt, die Socken und Schuhe wieder anzuziehen.

Eine Weile lang wandere ich am Ufer des Sees entlang, bevor mich der Wasserläufer zum nächsten Highlight führt: Der Wasserfall bei Gerats ist zwar nicht ganz so imposant wie der von Nesselwang am Vortag, aber trotzdem einen Besuch wert. Ich verzichte (vorerst) auf ein weiteres Fußbad und wandere weiter durch Wald und über Wiesen in Richtung meiner wohlverdienten Mittagspause: Die Alpe Müllers Berg serviert mir Kuchen und ein kaltes Getränk, und obwohl die Hütte gerade mal auf knapp tausend Metern Höhe liegt, kommt hier echtes Bergwanderfeeling auf. Genauso wie auf dem steilen Anstieg, der direkt hinter der Alpe auf mich wartet. Dafür beginnt hier auch mein Lieblingsabschnitt dieser Etappe: Ich wandere über Waldwege und Wiesenpfade, es summt und brummt und zwitschert und blüht um mich herum. Und obwohl ich ja eigentlich gar nicht weit weg vom „Rest der Welt“ bin, fühlt es sich doch so an. Und was ist das? Schon wieder ein Gipfelkreuz! Der Falkenstein (nicht zu verwechseln mit dem bei Pfronten) ist mit 1.115 Metern die höchste Erhebung des langgezogenen Bergrückens. Felsig, bewaldet, zu einer Seite steil abfallend und mit großartigen Weitblicken, die im frühen Abendlicht besonders schön anzuschauen sind.

Ich glaube, ich könnte dort oben die ein oder andere Stunde verbringen, aber noch liegen ein paar letzte Kilometer vor mir, denn meine Unterkunft befindet sich rund 350 Höhenmeter weiter unten in Rettenberg. Der Grünten ist jetzt ganz nah, ragt quasi direkt hinter dem Ort in die Höhe. Und bei seinem Anblick erahne ich schon, dass der Anstieg auf seinen Gipfel am Tag nicht so ganz ohne wird…

Katrin Heckmann

Die Autorin

Katrin Heckmann: Fräulein Draußen

Dass ich erst so richtig glücklich bin, wenn ich mit Wanderschuhen bewaffnet in irgendeiner menschenleeren Landschaft stehe, das Meer vor meinem Zelt rauschen höre oder den Sonnenuntergang von einem Berggipfel aus betrachte, das war mir bis vor wenigen Jahren noch gar nicht so richtig bewusst. Aber spätestens als ich mein Zelt zum ersten Mal auf einem einsamen schottischen Hügel aufschlug und die Abendsonne die Highlands in goldenes Licht tauchte, während ich meine Asiaanudelsuppe schlürfte, wusste ich, dass ich da etwas ganz Großem auf der Spur war. Seit diesem Tag ist meine Leidenschaft fürs Draußensein immer weiter gewachsen und zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden.

Dabei müssen es aber nicht die höchsten Gipfel oder die weitesten Wege sein. Draußen sein, frei sein, glücklich sein ist das, was mir wirklich wichtig ist. Und das suche und finde ich auf einer 1.000 km langen Fernwanderung in Australien oder einem 4-wöchigen Solo-Roadtrip durch die endlose Weite Alaskas genauso wie auf einer kleinen Mehrtagestour zu Fuß oder auf dem Fahrrad duch das Allgäu und Bayerisch-Schwaben.