Ein Ort der Freiheit. Mit Sagenerzählerin Bärbel Bentele im Wald

Heutzutage wirkt sie vielen von uns fern – die Magie des Waldes. Wir leben, so denken wir, längst in einer anderen Welt. Doch Bärbel Bentele nimmt uns mit in einen Hain bei Stiefenhofen. Hoch ragen die Tannen auf, Nadeln filtern das Sonnenlicht, die Luft hier ist gleich ein paar Grad kühler. Und ihr großer Schäferhundmischling sieht aus wie ein Wolf.

    War da ein Fuchs? Unterwegs im Wald mit Kräuterfrau und Sagenerzählerin Bärbel Bentele und Hund Mäx

    „Psst“, macht Bärbel Bentele plötzlich und sorgt mit einer Handbewegung dafür, dass wir still stehen. „Bleiben und sitzen“, zischt sie ihrem Hund Mäx zu. Der spitzt die Ohren und bleibt sitzen wie ein Bilderbuchhund. Bärbel glaubt, einen Fuchs gesehen zu haben. Der streife hier öfter durch ihren Wald, wohne da vorn. Sie weist ins Unterholz vor uns. Einen Moment verharren wir. Doch Reineke Fuchs, wie der gewiefte Charakter in der Fabel genannt wird, macht seinem Wesen alle Ehre, und bleibt unentdeckt.

    Ein typischer Tannenwald im Westallgäu

    Wir treffen Bärbel Bentele am frühen Vormittag. Für sie hat der Tag bereits um 5 Uhr morgens begonnen. Sie musste noch mähen. Danach, so die Vereinbarung am Telefon, würde sie zwei Stunden Zeit haben, mit uns in den Wald zu gehen. Und so trafen wir sie vor einem typischen Tannenwald im Westallgäu. Aufragend, dunkel, verheißungsvoll, vorwiegend Fichten und Weißtannen. Ein Weg. Davor eine Frau in Rock und Wanderstiefeln, mit langen Haaren und kräftigen Armen und einem großen, silbergrauen Schäferhundmischling. Dann sie nimmt uns mit in ihr Revier. Es ist viel mehr als ein Ort.

    Bärbel Bentele lacht als sie gefragt wird, ob man sie früher wohl als Hexe bezeichnet hätte. Sie liebt es, im Wald zu sein, sie kennt die Wirkung und Heilkraft der Kräuter, sie spürt eine Verbindung zur Natur, die uns heute nicht weniger ungewöhnlich scheint wie einst. Es ist ein Wissen um Zusammenhänge, die man gern als esoterisch abtut – und die man früher vielleicht Hexerei genannt hätte. Jetzt erklärt die Frau in der Blumenbluse die Wortherkunft. Hagzissa, Zaunreiterin, nannte man einst die einsam am Rand der Gesellschaft, hinter dem Hag, dem Zaun, lebenden Frauen. Und das Wort hat sich verkürzt zu Hexe. Bärbel Bentele nennt sich Sagenerzählerin, Kräuterfrau, Vermittlerin für Brauchtum und Mythen.

    Von Hexen und Halluzinogenen

    Wie wird man Hagzissa? Es ist kein Lehrberuf, aber man muss dafür berufen sein. „Ich habe als Kind mit meinem Vater auf der Alpe gelebt. Er war Senner, und ich habe viel gelernt über die Zusammenhänge der Natur.“ Heute wohnt sie in einem schönen Haus am Ortsrand von Stiefenhofen. Im Garten stehen alte Bäume, die Wiese ist frisch gemäht, aus dem Fenster geht der Blick in die Natur. Sie hat zwei erwachsene Söhne, teilt ihr Leben mit vielen Tieren und einem Mann, der einem ganz normalen Beruf nachgeht. „Er hat viel Verständnis für mich.“ Sie lacht wieder. Es ist ein herzliches, offenes Lachen.

    Wir schlendern durch den Wald. Immer wieder bleibt Bärbel stehen. Sie zeigt uns den Wildampfer, der viel Oxalsäure enthält, den heilkräftigen Echten Ehrenpreis und das „Mauseöhrle“. So wird das Habichtskraut in der Region genannt, angeblich wegen seiner wie Ohren geformten, leicht behaarten Blätter. Man muss aber viel Fantasie haben, um darin Ohren zu erkennen. Und als es heißt, dass die Wurzeln ein Halluzinogen enthalten, ähnlich wie Haschisch, ahnen wir woher diese Fantasie kommt.

    Wer achtsam durch den Wald schlendert, sieht auch im dunklen Tann das Besondere – Kräuter, Misteln, Nachtschattengewächse. Der Wald war immer auch der Ort der Abgeschiedenheit, des Rückzugs. „Im Wald kannst du verschwinden, hier kannst du dich verstecken“, sagt Bärbel auf einer kleinen Lichtung stehend, umgeben von hoch aufragenden Weißtannen. Schräg fällt das Sonnenlicht durch die Zweige. Insekten tanzen hindurch. Der Aberglaube, den man heute eher abtut, umfasste ursprünglich jenes wilde Wissen, „das brauchte man, um an einsamen und entlegenen Orten zu überleben. Etwa das Wissen um die Heilkraft der Kräuter.“ Es wurde in Geschichten festgehalten. Dabei sind Märchen eher Seelenbilder, Sagen erzählen wie man vor Ort gut lebt.

    Die Überbringerin des Lichts

    Zum Abschluss führt uns Bärbel zu einer Weißtanne. Schwer zu sagen, wie hoch der Baum ist, der sich am Rand des kleinen Hains in die Höhe reckt. 25, 30 Meter? Weit geht der Blick über die Berge im Südwesten. „Mit ihrer langen Pfahlwurzel reicht die Weißtanne tief ins Erdreich. Sie ist standfest, bricht eher als dass sie umstürzt, sie zieht viel Wasser und gilt deshalb als Baum der Lebenskraft. Weil sie Himmel und Erde verbindet ist die Weißtanne für mich aber auch eine Überbringerin des Lichts. Auch deshalb holen wir sie im Winter in die Häuser.“ Früher habe man das deutlicher sehen können. Wirft man den Zapfen einer Tanne ins Feuer, verbrennen die ätherischen Öle in den Fruchtkapseln mit einem kleinen Lichtblitz.

    Der Wald als Ort der Verborgenheit, der Freiheit, ja, inzwischen wieder als Ort der Freude. Was hält sie davon, dass immer mehr Menschen ihre Leidenschaft für den Wald entdecken und Waldbaden im Trend liegt? Jetzt berührt Bärbel sanft, fast zärtlich die Rinde. „Ich habe noch nie ein Buch darüber gelesen, grundsätzlich finde ich es gut. Schon Pfarrer Kneipp schickte die Kranken zur Heilung in den Wald. Einsiedler und Weise suchten hier nach erweitertem Bewusstsein.“ Sie schaut sich um, als wolle sie prüfen, ob alles noch an seinem Platz ist. „Doch muss der Schutz der Pflanzen und Tiere an erster Stellen stehen. Denn wenn sie den Wald verlassen müssen, weil sie darin keine Ruhe mehr finden, dann wird der Wald seine Kraft und Magie auch für uns verlieren.“

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    Die Autoren

    Susanne Baade und Dirk Lehmann

    Im Expeditionsschiff in die Antarktis und per Helikopter über Australien, Wanderung zu einem Kloster in Nepal und Besuch im Luxushotels in Paris, Trekkings durch Kanada und Achtsamkeitsübungen im Allgäu – zu reisen, zu fotografieren, die Welt zu erzählen: Das ist unser Beruf, unsere Berufung. Lange haben wir als Redakteure namhafter Magazine im Hamburger Verlag Gruner+Jahr gearbeitet, seit einigen Jahren berichten wir nun für das Allgäu aus dem Allgäu. Hier haben wir besondere Menschen kennen gelernt, faszinierende Momente erlebt und eine Natur, die uns immer wieder begeistert. Wir sind dankbar für jedes dieser Abenteuer. Und dafür, dass Sie uns begleiten! Susanne&Dirk

    Mehr zu Susanne und Dirk auf ihrer Website.